Mathias Götz, der – wenn er nicht Vögel hört oder sich beim Summen in seiner Küche aufnimmt – mit Bands spielt, die einfache Namen tragen wie Hochzeitskapelle, Colour Haze und The Notwist oder komplizierte wie Lovebrain’s Rose of Agra, Stringlane and Diskotäschchen, Mount Blakelock und die Orden der Nacht, supported by 85/86 CC, unspoken Space at Kreuz Giesing hat als Tausendfüßler mit den neun Füßen von Le Millipede ein Projekt los gestoßen, das die Musik in den Kunstmarkt katapultiert hat (nur hat das leider noch kein vermögender Sammler gemerkt).
Er hat ganz alleine Tracks komponiert, aufgenommen und gemischt. Er hat sie nach den ersten neun Füßen (Legs) seines tausendfüßigen Wappentiers durchnummeriert. So weit, so Pop. Dann aber ging es los mit der ausufernden Gesamtkunstwerk-Produktion, die in allen Medien inszeniert und doch dem Markt völlig entzogen wurde: Der Autor Pico Be schreib jeweils einen Text, der „irgendwas mit Film“ beschrieb und die Miniaturen digital ins Cineastische exportierte. Von jedem Track wurde am Ende genau eine (1!) Single gepresst: Die Gestalterin Frau Forster entwarf zu den neun Tracks in acht unterschiedlichen Techniken acht einmalige Cover, mit denen die Singles in der Auflage 1/1 dann an genau einen Freund oder Weggefährten verschenkt wurden (einzig die „Legs“ sechs und sieben erschienen als eine beidseitige Single in einer 3er Auflage).
Jetzt aber scheint die ganze Welt bereit, dieses Geschenk zu erhalten. Aus alledem wurde eine LP mit einer rätselhaften Dreingabe: einer LP mit Vogelstimmen, die Mathias Götz selbst aufgenommen hat. Auf Platte gepresst wird allerdings aus dem unschuldigen Gesang des Bluthänflings eine unkontrollierte avantgardistische Attacke.
Die Frage, wieso hier auf einer ganzen LP die Vögel zwitschern, bleibt natürlich unbeantwortet. „Why do the birds attack?“ fragte der Philosophen Slavoj Zizek angesichts des Filmes „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock. Die Vögel bei Hitchcock brechen unverhofft in die Realität ein. Sie sind die Urgewalt, die Wiederkehr des Verdrängten. Mathias Götz aber ist ein freundlicher Musiker. Seine Musik schweigt fast trotzig beim Gesang der Federtiere. Sind also die Vögel das Unbewußte der Musik? Jetzt können wir dem Gesang der Grauammer lauschen wie einer Free-Jazz Tonkaskade von John Coltrane. Denn der Vogelgesang wird beim Wechsel von Wald zu Vinyl plötzlich zu einer schwer verständlichen Kunst ohne Tonart, Metrum, Erklärbarkeit oder Hookline: Wahrhaft „freie“ Musik, eine wunderbare Zwitschermaschine (frei nach Paul Klee) wie auch die Musik von Mathias Götz eine ist.