Ein Unfall ereignet sich, und Liebe und Leben sind vorbei. Pierre (Michel Piccoli) wird mit seinem Alfa Romeo aus der Bahn geschleudert, just in dem Moment, da er beschließt, seine Beziehung mit Hélène (Romy Schneider) doch nicht zu beenden, ja Hélène zu heiraten. Ein Gedanke, der ihm im vorbeibrausenden Anblick einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft kommt … Filmszenen aus Les choses de la vie / Die Dinge des Lebens, die uns nun knapp fünfzig Jahre später in die hier vorliegende Platte schleudern, um mal mit dem Ende anzufangen: Chanson d‘ Hélène, ein Original von Philippe Sarde, damals von Romy und Michel interpretiert, setzt den Schlussakzent zu dieser neuesten Liederspur der Münchener Hochzeitskapelle. Ohne Worte. Die können wir uns mitdenken, die Gruppe in jener Filmgesellschaft vorstellen, die Autofahrer gedankenverloren überschlagen lässt. Uns vorstellen, dass die Hochzeitskapelle die »Bande Sonore« gibt für die Hochzeiten derer, die im ewigen Frieden ruhen.
Gut die Hälfte der Komponisten und Originalautoren der hier versammelten Songs schwingen schon im Jenseits. Morbid und moribund also ist allemal, was die Indiepop-Größen Micha & Markus Acher (The Notwist), Evi Keglmaier (Zwirbeldirn), Mathias Götz (Le Millipede) und Alex Haas (spielt in knapp zwanzig Bands) an Sousaphon, Trompete, Schlagzeug, Viola, Tuba, Orgel, Harmonium, Posaune, Glockenspiel, toy piano und Banjo tun. Und gleichzeitig über alle Berge erhaben. Grundsätzlich im Sitzen konzertierend, ohne Licht und ohne Strom, von einer Bühne ganz zu schweigen, und zwischen den Liedern essend und trinkend, entfalten sie eine musikalische Kartographie, auf der sich mehr als einmal um die Welt reisen lässt, uns Altes und Älteres, Fernes und noch Ferneres näherbringend, mit dauerhaft erdender und kanonisierender Wirkung. Doch aufgehorcht, die Route für das neue Album führt in Abgründe!
Das zentrale Thema If I Think Of Love klingt wie der milde Morgen nach langem, schlimmen Sturmwetter, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem tiefen, ernsten Winter. Sanft harmonisierend, als wäre es von Johann Sebastian Bach ersonnen. Doch geschrieben hat es die Italo-Amerikanerin Lisa Germano, und wer ihre Lyrics (nachzuhören auf ihrem ’98er Album Slide, oder in der Version ihres Bandprojekts OP8 mit Howe Gelb, Joey Burns und John Convertino) in Gedanken dazu summt, dem öffnen sich schlagartig die Dunkelkammern des großen Themas Liebe. Selbstzweifel, nackte Angst, Verlust, Trennung – für all das steht sie da, die Liebe. Und dann ist klar, dass in dieser sanften Mildheit viel Erschöpfung ruht, nein, wir werden in der ersten Sonne keinen euphorischen Freudentanz aufführen, wir sitzen einfach nur da, und regenerieren uns. Für diesen Moment steht auch Anohito, eine Komposition der Tenniscoats aus Tokyo. Die Freundschaft, die bereits in das gemeinsame und noch fortlaufende Projekt Spirit Fest mündete, sie trägt hier erneut eine zarte Blüte.
Aber oho, das Tanzbein! Ob in der peruanischen Cumbia des Sonido Amazónico schwingend, oder dem Voodoo aus Trinidad – Feuer und Fieber der ewigen Lust auf Verführung rufen! Gefährlich! Die Night Of The Vampire war in der Version der von Joe Meek produzierten Moontrekkers bei ihrem Erscheinen im Jahre 1961 von der BBC als „ungeeignet für Leute mit schwachen Nerven“ gebannt worden. Prima Donna von René Aubry geriert sich folgerichtig als Totentanz, wir glauben die mechanischen Drehungen einer Spieluhrmusik, den Takt im Klackern von Knochen zu hören – Hochzeitsmusik? Da haben wir ihn, den bitterschwarzen Humor der Hochzeitskapelle.
Halt oder nicht Halt, das ist hier die Frage. Haltestellen finden wir noch mehr in Nord- denn Südamericana aus der letzten Jahrtausendwende, im Songwriting von Elliott Smith, dem hier eine besondere Widmung zuteil wird, interpretiert die Kapelle doch gleich zwei seiner nachtschwarz tristen, aber sehr geliebten Kompositionen (Between The Bars, Waltz No.1). Natürlich: Der Komponist erlag 2003 den Stichverletzungen, die ihm im Liebeskampf entstanden waren. Oder die Suche nach einer Haltestelle im Songwriting von Laura Veirs und ihrer Nightingale, die in tiefer Trauer beschworen wird, sie möge kommen, ihr Lied zu singen, eher ist an Ruhe und Schlaf im Traum nicht zu denken. Und vielleicht kann allein sie Halt geben, die Rainbow Connection, von Paul Williams geschrieben und von Kermit, der Frosch, im Muppet Movie gesungen. Bislang soll es kein Konzert der Hochzeitskapelle gegeben haben, da bei diesem Song nicht Tränen geflossen waren …
Aufgenommen wurde die hier vorliegende Liedersammlung wie schon das von Publikum und Kritik begeistert aufgenommene Debutalbum The World Is Full Of Songs von Andreas „g.rag“ Staebler, und so wird auch veröffentlicht im Hause Gutfeeling, aber wer schon das Vergnügen hatte, einer der in München lustvoll dargebotenen temporären Vermählungen zwischen Hochzeitskapelle und G. Rag y Los Hermanos Patchekos / G.Rag & die Landlergschwister beizuwohnen, der weiß eh, das hier eine Großfamilie ihre Knospen treibt, und die ist wahrhaft in Liebe zur Musik vereint.
Achja, das Ende, der Anfang: Filmmusikalisch gerahmt ist dies Album! Wir steigen ein in die Windmills Of Your Mind, Michel Legrands berühmter melancholischer Melodie aus The Thomas Crown Affair. Und ja, schließlich hat die Hochzeitskapelle nicht grundlos für den Deutschen Filmpreis in der Kategorie beste Filmmusik (Wackersdorf, Regie: Oliver Haffner) gewonnen!
Text: Pico Be